11.3.05 Mehr vermitteln als nur Sprache

Zum Bericht „Spielerisch Englisch lernen mit Mausi“ vom 9. März. Bayerwald-Bote Regen


Englischunterricht im Kindergarten - sollen schon die Kleinkinder das Werbe-Denglish der Wirtschaft verstehen, oder will man die Kinder schon früh auf die Globalisierung vorbereiten?  Im Vorschulalter sollten andere Dinge vermittelt werden: die Muttersprache, ein allgemeines Verständnis von der Welt und wie sie in den Grundzügen funktioniert, soziales Verhalten, Rücksichtnahme, auch schon Konflikt- und Teamfähigkeit, die Fähigkeit zu spielen, die Fein-und Grobmotorik ausbilden, zu sehen, zu erkennen und darüber zu sprechen usw.
Wer die kleinen Kinder wirklich fördern will, der sollte erst einmal die Gruppenstärken in den Kindergärten verkleinern. Noch immer liegen diese bei 25 bis 30 Kinder in Bayern. In Berlin hatte man schon vor über 30 Jahren 15er Gruppen und eine Vorschulgruppe, die gezielt die Welt erkundete (tägliche Spaziergänge durch Natur und Stadt). Zu Hause sprach man dann über das Gesehene, las themenbezogene Geschichten und entsprechende Lieder, malte und verarbeitete Konflikte in Rollenspielen. Die Kinder konnten zwar kein Englisch, entwickelten dafür ein vernetztes Verständnis von der Welt, auf das die Schulen aufbauen konnten.

 

 

9.3.05 Von einem Extrem ins andere

Zum Bericht „Spielerisch Englisch lernen mit Mausi“ vom 9. März. Bayerwald-Bote Regen

(Leserbrief zurückgezogen und mit dem modifizierten vom 11.3. ersetzt, was ich aber nicht hätte tun sollen)

 

Englischunterricht im Kindergarten, was für ein Fortschritt! Als gelernter Kindergärtner, Vater und Großvater mit reichlich Kindergartenerfahrung möchte ich da ein paar Anregungen loswerden.

Natürlich lernt man im Vorschulalter leicht, auch Sprachen, doch sollten in dieser Zeit andere Dinge vermittelt werden: ein allgemeines Verständnis von der Welt und wie sie in den Grundzügen funktioniert, soziales Verhalten, Rücksichtnahme, auch schon Konflikt- und Teamfähigkeit, die Fähigkeit zu spielen, Geschicklichkeit auszubilden, zu sehen, zu erkennen und darüber zu sprechen und von mir aus auch ein paar vorbereitende schulische Dinge, aber Englisch? Vermutlich halten die Initiatoren es für Intelligenzförderung und meinen es zweifelos gut damit und wie man in letzter Zeit so hört, bereitet das Kultusministerium da noch ganz andere Dinge vor, etwa die frühere Einschulung.

Warum müssen wir immer von einem Extrem ins andere fallen? Den Kindergarten, wie ich ihn eingangs skizziert habe und wie ich ihn vor über drei Jahrzehnten in Westberlin während Praktikas auch ausprobieren konnte, gibt es natürlich auch heute noch nicht und wenn, dann nur ansatzweise, dank besonderem Engagement von einzelnen Erzieherinnen. Als Mann hatte ich in Bayern übrigens keine Chance angestellt zu werden (es gibt auch diese Art von Geschlechterdiskriminierung). Und was ich dann selber über meine Kinder und Enkel von bayerischer Kindergartenarbeit erleben durfte, war entmutigend. Da gab es die „Tanten“ die mit den Kindern nur Kitsch und Papierkram bastelten und Gebete ratschten. Dann wurde es modern, die Kinder nur noch spielen zu lassen und zu hoffen, dass die größeren die kleineren fördern. (Ich kenne verbürgte Fälle wo angehende Erzieherinnen, die mit den Kindern etwas machen wollten, aus den Teams geekelt wurden!) Und nun soll Englisch gelernt werden, da raufe ich mir meine letzten Haare!

Doch die Rahmenbedingungen haben nicht die Erzieherinnen zu verantworten, sondern die meist kirchlichen Träger und die schwarze Politik. Gruppenstärken von 25 -30 Kinder, altersmäßig bunt zusammengewürfelt, das ist einfach nur Wahnsinn! Oder die fünfjährige Ausbildung! Da ging es nur um billige Praktikanten für die Träger und frühzeitige Abrichtung der Auszubildenden, an die Akademie darf man erst, wenn man sich erst zwei Jahre rechtlos durchgebuckelt hat. Immerhin werden heute die Vorpraktikanten wenigstens schulisch begleitet, wie oft hatte ich das in Briefen ans Kultusministerium in den achtziger Jahren gefordert! Doch bis in die neunziger Jahre hat man die Schulabgänger ohne einen Funken pädagogisches Wissen zwei Jahre lang in die Gruppen gesteckt. In Berlin hatten wir damals altersgestaffelte 15er Gruppen. Mit denen konnte man durch die Stadt spazieren und die Welt erkunden, Wirtschaftsbetriebe aller Art besuchen (vom Bauernhof bis zum E-Werk) und später dann das Gesehene durchsprechen, davon malen und singen und Rollenspiele darüber machen. Unsere Kinder konnten zwar kein Englisch, hatten dafür aber ein vernetztes Verständnis von der Welt, auf das die Schulen aufbauen konnten. Dass Englischkenntnisse nicht mit Intelligenz gleichzusetzen sind, beweist wohl die Realität. Die verbreiteten Englischkenntnisse heute haben uns bei PISA nicht geholfen.